Rechtstipp November 2011 Sind niedergelassene Vertragsärzte „Amtsträger“ oder „Beauftragte“ der KKen

Sind niedergelassene Vertrags(zahn)ärzte „Amtsträger“ oder „Beauftragte“ der Kassen?

Die niedergelassenen Vertrags(zahn)ärzte und das sogenannte Pharmamarketing beschäftigen die Strafrechtler in Deutschland. Aktuell befasst sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage, ob Vertrags(zahn)ärzte bestechlich sind, wenn sie im weit verbreiteten Bereich des sogenannten Pharmamarketings Leistungen beziehen. 

Die Beantwortung dieser Frage hat erhebliche Bedeutung für Strafverfolgungsorgane und Vertrags(zahn)ärzte im gesamten Bundesgebiet. Denn sollte der Bundesgerichtshof Vertrags(zahn)ärzte als taugliche Personen im Bereich der Korruptionsdelikte ansehen, käme der gesamte Bereich des Pharmamarketings auf den strafrechtlichen Prüfstand. Es wäre wahrscheinlich mit der Einleitung einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren zu rechnen. Das Gesetz sieht für Korruptionsdelikte in ihrer einfachsten Form Strafrahmen von der Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vor. Im Kern geht es um die Frage, ob Vertrags(zahn)ärzte im System der Gesetzlichen Krankenkassen als „Amtsträger“ oder als „Beauftragte“ der Krankenkassen im strafrechtlichen Sinn anzusehen und durch diese Einordnung taugliche Täter von Korruptionsdelikten sein können. Bislang wurden niedergelassene Vertrags(zahn)ärzte von der Rechtsprechung keinem dieser Begrifflichkeiten untergeordnet. Der 3. Strafsenat des BGH hat das Problem nun – ob ihrer Tragweite – mit der Entscheidung vom 5. Mai 2011 dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vorgelegt. Daher wird der Große Senat für Strafsachen bald entscheidende Weichen für den Umgang mit Pharmamarketingmaßnahmen auf Seiten der Vertrags(zahn)ärzte stellen. Welcher Fall aber gab dem Bundesgerichtshof Anlass, über diese weitreichende Fragestellung nachzudenken? Nach der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs hatte die Staatsanwaltschaft gegen die Verantwortlichen eines Medizinprodukteherstellers ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechung beziehungsweise der Bestechung im geschäftlichen Verkehr geführt. Niedergelassene Vertragsärzte sollten bestochen worden sein. Nach der Einstellung dieses Ermittlungsverfahrens hatte sie in einem selbstständigen Verfallsverfahren beantragt, gegen das Unternehmen Wertersatz in Höhe von 350.225 Euro für verfallen zu erklären. Das Landgericht hatte diesen Antrag abgelehnt. Gegen diese Entscheidung ist die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen, weshalb der 3. Strafsenat des BGH zur Entscheidung berufen war. Dabei war auch zu prüfen, ob niedergelassene Vertragsärzte überhaupt als bestechliche Person angesehen werden können. Denn das Gesetz sieht im Rahmen der Korruptionsdelikte nur bestimmte Personen (zum Beispiel Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes, Amtsträger) als taugliche Täter an. Auf den ersten Blick scheint der Vertrags(zahn)arzt als Täter auszuscheiden, da er freiberuflich und selbstständig tätig ist. Allerdings lässt seine Eingebundenheit in das kassenärztliche Versorgungssystem auch eine Argumentation dahingehend zu, dass er als verordnender Arzt Beauftragter der Krankenkasse oder gar „Amtsträger“ sein könnte; so behaupten es jedenfalls einige Autoren strafrechtlicher Kommentare und Aufsätze. Es verwundert kaum, dass diese Einschätzung heftigen Widerstand erfährt und die strafrechtliche Einstufung von niedergelassenen Vertrags(zahn)ärzten heftig umstritten ist. Nur vereinzelt gehen Staatsanwaltschaften momentan aufgrund eines korruptionsrechtlichen Anfangsverdachts bei dieser Berufsgruppe gegen das System des Pharmamarketings vor. Virulent wird das Problem in erster Linie dann, wenn Hersteller medizinischer Produkte oder sonstige Drittanbieter sowie Krankenhausträger Zuwendungen an Vertragsärzte erbringen, wie Bonuszahlungen oder gar finanzielle Vergütungen, um das Ziel zu erreichen, bei dem Bezug von Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln sowie bei der Einweisung von Patienten wettbewerbswidrig gegenüber anderen Wettbewerbern am Markt bevorzugt zu werden. Allerdings hängt die Strafbarkeit dabei nicht alleine von der bloßen Bewertung von Vertragsärzten, sei es als Amtsträger oder Beauftragter einer Krankenkasse ab. Dies wird in der Praxis häufig verkannt und demzufolge werden häufig zu Unrecht strafrechtliche Vorwürfe erhoben. In jedem Einzelfall ist zu prüfen, von wem der Vertragsarzt Leistungen bezogen hat und wem gegenüber er diese Leistungen wie abrechnet. Auch gibt es Fallkonstellationen, in denen eine Strafbarkeit zusätzlich von der Frage abhängt, ob und inwieweit verordnete Leistungen medizinisch indiziert waren oder nicht (so zum Beispiel bei dem Tatbestand der Untreue nach Paragraf 266 Strafgesetzbuch – StGB). Bislang ist die besondere Stellung der niedergelassenen Vertragsärzte vom Bundesgerichtshof nicht bewertet worden. Mit Spannung wird nun die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen erwartet.

RA Dr. Jens Bosbach, München

 

 

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