Rechtstipp September 2010 Abrechnungsfähigkeit von ästhetischer Kieferorthopädie

Abrechnungsfähigkeit von ästhetischer Kieferorthopädie

Von Prof. Dr. Robert Fuhrmann, Halle a.d. Saale

Seit Jahrtausenden setzen die Menschen viel daran, ihren Körper, besonders ihr Gesicht zu verschönern, und nehmen dafür jedwede Form der Behandlung auf sich.

Ziel all dieser Behandlungen ist zu jeder Zeit die äußere Erscheinung vorteilhaft zur Geltung zu bringen, Aufmerksamkeit zu erregen, eine grundlegende Veränderung des „Gesichtes als Visitenkarte“ herbeizuführen, koste es, was es wolle. Früher war jedoch das Gesicht ‚gottgegeben‘ also genetisch definiert, heute wird das Gesicht zum Kunstwerk, das sich künstlich ändern lässt. Die plastisch – kosmetische Chirurgie und die ästhetische bzw. kosmetische Zahnmedizin versprechen ein neues Gesicht mit mehr ‚Schönheit‘. Ästhetik steht meist in Verbindung zu perfekter Funktion. Dabei ist die Kieferorthopädie ein wichtiger Baustein in der präventiven Zahnmedizin. Ästhetische Orthodontie erfüllt nach der befundbezogenen Einbeziehung von parodontologischen, endodontologischen und restaurativen Erwägungen einen grundlegenden medizinischen Bedarf. Voraussetzung dafür ist eine eindeutige medizinische Indikationsstellung zur Rehabilitation bzw. erneuten Stabilisierung der Funktionsfähigkeit des Kauorgans. Die medizinischen Indikationen haben sich dabei in der Kieferorthopädie in den letzten Jahrzehnten präventionsorientiert verändert. Neue Techniken, insbesondere die ‚unsichtbaren’ Behandlungsformen erlauben verstärkt ältere Erwachsene für die zeitlich anspruchsvolle Therapie zur Erneuerung ihrer Gebissfunktionalität und Ausstrahlung zu gewinnen. Die Verbesserung der dentofazialen Ästhetik bei gleichzeitiger Stabilisierung der Funktionsfähigkeit wird bei erwachsenen Patienten zum entscheidenden Behandlungsmotiv. Der Bedarf und die Nachfrage ist in der Altersgruppe der 15- bis 40-Jährigen am höchsten. In diesem Lebensabschnitt wird ein attraktives Gesicht mit beruflichem Erfolg, Prestige und erleichterter Kontaktaufnahme assoziiert. Gerade die Zähne sind im Laufe der letzten 50 Jahre mehr und mehr zum zentralen Mittelpunkt des Lächelns geworden. Dabei gibt es teilweise eine auffällige Diskrepanz zwischen den objektiv vorliegenden Befunden und der subjektiven Selbsteinschätzung. Deshalb muss man bei der Behandlungskonzeption und Indikation vorsichtig sein, nicht auf Patienten zu treffen, bei denen tiefer liegende psychische Probleme wie z.B. Depressionen oder Beziehungsprobleme die dentale Problematik überlagern. Die Ästhetikwelle hat sich in den letzten Jahren zu einem festen Teil der Zahnheilkunde mit schnell wachsenden Umsatzanteilen etabliert. Moderne Marketingkonzepte für die kieferorthopädische Praxisdarstellung oder im Rahmen der Werbung für die spezifischen Dienstleistungsangebote, wie die ‚unsichtbare’ Behandlung mittels transparenten Schienen oder Lingualtechnik haben dazu geführt, dass sich so manche Zahnarztpraxis heute zum Zentrum für Ästhetische oder Kosmetische Zahnmedizin bzw. Kieferorthopädie umbenennt. Auf allen Inseraten, Praxisschildern,T-shirts und den Briefköpfen erkennt man das neue Praxismotto ‚create your smile‘ im Sinne einer durchaus perfekten zahnärztlichen ‚Corporate Identity‘. Diese neuen Marketingkonzepte sind sicherlich zeitgemäß und erfolgreich, aber bergen eine Reihe von Risiken. Finanzielle Risiken Die enge Vernetzung zwischen eugnather Okklusion und Artikulation, ästhetischer Zahnaufstellung und ihrer ‚Halbschwester’ der kosmetischer Zahnmedizin macht es für die Steuerbehörden, Kostenerstatter und Gerichte teilweise schwierig, zwischen medizinischer, ästhetischer Indikationsstellung und kosmetischer Leistungserbringung zu differenzieren. Voraussetzung zur Anwendung der zahnärztlichen bzw. ärztlichen Gebührenordnung (GOZ) ist meistens, dass es sich um eine medizinische Leistung handelt. Eine kosmetische Leistungserbringung erfolgt häufig ohne medizinische Indikationsstellung auf Wunsch des Patienten, so dass hier die Vereinbarung zwischen Arzt und Patient nicht auf einem klassischen Behandlungsplan (GOZ 004) basiert, sondern eine Behandlung auf Verlangen darstellt (GOZ 002). Mehrwertsteuerpflicht für Ästhetik- Anbieter ? Medizinische Dienstleistungen, die ausschließlich auf Wunsch des Patienten subjektiv empfundene Schönheitsfehler beseitigen, ohne jegliche medizinische Indikationsstellung – sind mehrwertsteuerpflichtig. Die Mehrwertsteuerpflicht bedeutet für Praxisinhaber, die kosmetische Zahnmedizin betreiben, dass eventuell 19% vom Praxisumsatz abgeführt werden müssen. Da diese Pflicht zur Entrichtung von Mehrwertsteuer bei Zahnarztpraxen meistens im Rahmen einer Betriebsprüfung diskutiert wird, ergibt sich schnell ein mehrjähriger Veranlagungszeitraum und damit sechsstellige Summen. Fragliche Genehmigungs- und Erstattungsfähigkeit Orthodontische Behandlungsmaßnahmen, die allein auf Veranlassung bzw. Wunsch des Patienten nach neuer ästhetischer Frontzahnaufstellung ohne klar definierte medizinische Indikationsstellung durchgeführt werden, sind häufig durch gesetzliche oder private Kostenerstatter nicht oder nur eingeschränkt genehmigungs- und erstattungsfähig. Kieferorthopädische Behandlungspläne, die allein eine ästhetische Reorientierung oder Neuaufstellung der Incisivi zum Schluss der dunklen interdentalen Dreiecke und / oder eine Verbesserung der rot-weiß Relation im Frontzahnbereich aus ästhetischen Gründen beantragen, werden von vielen Kostenerstattern als medizinisch nicht notwendig eingestuft und zurückgewiesen. Bei orthodontisch – ästhetischen Behandlungsmaßnahmen sollte man den Patienten die Vorausetzungen für die Genehmigungs- und Erstattungsfähigkeit im Rahmen der Kostenaufklärung eingehend vermitteln. Nach den ersten nicht erstatteten Liquidationen, kann die verständliche emotionale Aufgebrachtheit beim Patienten schnell dazuführen gegen den Zahnarzt als Leistungserbringer vorzugehen. Erwachsenbehandlung wird als reine ‚Ästhetik’ oder ‚Kosmetik’ abgestempelt Private Kostenerstatter haben mittlerweile verschiedenste Strategien zur Ablehnung von kieferorthopädischer Behandlungsmaßnahmen bei Erwachsenen entwickelt. Beinahe jeglicher orthodontischer Behandlungsplan wird als allein ästhetisch motivierte Therapie eingestuft. Dazu notwendige ‚Gefälligkeitsgutachten’ oder Stellungnahmen finden sich schnell im zahnärztlichen Markt. Die Erstattungsfähigkeit wird entweder komplett oder teilweise abgelehnt. Die Argumentationsgrundlage für einzelne private Krankenkassen wird dabei vermehrt an die restriktive Genehmigung von Behandlungsplänen bei Erwachsenen aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung bzw. Beihilfe angelehnt. Die gesetzlichen Regelungen bei der vertragszahnärztlichen Versorgung richten sich bekanntlich nach § 29 des SGB V. Ausgehend von diesen Vorgaben bei den gesetzlichen Krankenversicherungen, möchte einige private Kostenerstatter nur noch schwerwiegende craniofaziale Kieferanomalien mit angeborenen Missbildungen des Gesichts, ausgeprägte skelettale Dysgnathien oder verletzungsbedingte Kieferfehlstellungen genehmigen, die mindestens in die Behandlungsgrade A5, D4, M4, O5, B4 oder K4 der Indikationsgruppen eingestuft werden können. Die Ausgrenzung medizinisch indizierter orthodontischer Maßnahmen bei erwachsenen Patienten durch private Kostenerstatter analog zu den gesetzlichen Krankenkassen ist nicht statthaft und steht meistens in Widerspruch zu den Versicherungsbedingungen, die beim Abschluss der privaten Krankenversicherung gültig waren. Immer mehr betroffene Patienten und Kieferorthopäden haben sich in letzter Zeit erfolgreich gegen die Vorgehensweise der privaten Kostenerstatter durchgesetzt. Vorausetzung dazu ist meist ein unabhängiges und gerichtsfestes Gutachten. Uneingeschränkte Therapiefreiheit in der Kieferorthopädie ? Vorausetzung für die Kostenerstattung ist der Nachweis der medizinischen Notwendigkeit durch den Versicherten bzw. seinen behandelnden Arzt. Die Definition von medizinischer Notwendigkeit in der aktuellen Rechtssprechnung lautet: ‚Eine Heilbehandlung ist medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Für die Erstattungspflicht der privaten Krankenkasse kommt es auf die objektive medizinische Notwendigkeit an. Im sogenannten Alpha-Urteil vom 12.3.2003, IV ZR 278/01 wird klar herausgestellt, dass nachdem die medizinische Notwendigkeit nachgewiesen wurde, muss der Patient bei der Wahl der Therapie nicht die preisgünstigste Möglichkeit wählen. Drei Jahre später hat der BGH die Feststellungsklage einer KFO-Patientin gegen ihre PKV befürwortet (IV ZR 131/05, 8.Februar 2006). Die PKV hatte eine Zusage kategorisch verweigert, da der Versicherungsgutachter nur ein kombiniertes Vorgehen mit chirugischer Bisslagekorrektur als medizinisch sinnvoll angesehen hat. Im Kommentar dazu schrieb der BGH: Die Klägerin habe einen Anspruch gegenüber ihrer PKV darauf, vor einem nicht abzuschätzenden Kostenrisiko geschützt zu werden. Entscheidend, so der BGH, kommt es auf die Eignung einer medizinischen Maßnahme an, eine Krankheit zu heilen oder zu lindern. Der BGH nimmt die zahnärztliche Therapiefreiheit ernst und formuliert: Eine Behandlung kann auch dann medizinisch sinnvoll sein, wenn ihr Erfolg nicht sicher vorhersehbar ist. Es genügt, wenn die Befunde zum Zeitpunkt der Behandlung als vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen. Diese eindeutige BGH- Rechtssprechung für die Versicherten und die zahnärztliche Therapiefreiheit wird durch das neue Versicherungsvertragsgesetz zukünftig beeinflusst werden. In diesem Gesetz wird ein neuer Begriff der Übermaßbehandlung definiert. Was in der Kieferorthopädie eine Normal- bzw. Übermaßbehandlung ist, wird in den nächsten Jahren vermutlich vor Gericht landen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit durch dieses Versicherungsvertragsgesetz die Therapiefreiheit in der Kieferorthpädie sich verändert. Überprüfbare und legale Abrechnung Private Liquidationen werden zunehmend von privaten Kostenerstattern und der Beihilfe hinsichtlich der Abrechnung adäquater Gebührenpositionen und angemessener Steigerungsfaktoren auf Plausibiltät überprüft. Bei Unstimmigkeiten werden die entsprechenden Gebührenpositionen durch die Sachbearbeiter immer häufiger nicht erstattet, teilweise mit dem Hinweis ‚Ihr Zahnarzt rechnet falsch ab’. Die Patienten bringen diese Briefe mit in die Praxis, mit der Bitte um Klarstellung, Korrektur bzw. Erstattung. Obwohl die aktuelle Gebührenordnung bereits 20 Jahre alt ist und unzählige teilweise widersprüchliche GOZ-Urteile bei unterschiedlichen Gerichten und Instanzen bundesweit ergangen sind, halten sich viele Kostenerstatter nicht an diese Rechtssprechung. Hinweise dass diese GOZ- Positionen zweideutig oder umstritten sind, fehlen in diesen Schreiben weitestgehend. Das Ansetzen von umstrittenen Gebührenpositionen, wie der Position Ä3 für eine umfassende längere Beratung oder der GOZ-Position 203 für das Separieren vor dem Setzen der Bänder werden von manchen Praxen gar nicht mehr abgerechnet, um die Anzahl der Abrechnungskonflikte bzw. Patientenreklamationen zu reduzieren. Obwohl in vielen Praxen überwiegend die Zahnarzthelferinnen die Abrechnung vornehmen, sollten sich die Ärzte darüber im Klaren sein, dass Sie allein für die Liquidation haften. Das werbewirksame Abrechnungsmotto ‚ alles was geht’ hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass viele Gebührenziffern aus der Gebührenordnung für Ärzte unkontrolliert in den Liquidationsbereich der Kieferorthopädie eingebunden wurden. Dies hat das Ausmaß und die Anzahl der Konflikte weiter verschärft. Zur Erreichung einer höheren Rechtssicherheit und zur Reduktion von Abrechnungskonflikten, sollte man vor allem spezifische KFO-Positionen in den Vordergrund der Liquidationserstellung stellen. Zur Wahrung der Umsatzneutralität, empfiehlt es sich die kieferorthopädischen Gebührenpositionen angemessen zu steigern. Umstellung der zahnärztlichen Gebührenordnung Die derzeit laufende Diskusssion über die Umstellung der zahnärztlichen Gebührenordnung (GOZ 2008) wird durch die vermutete und befürchtete ‚Bematisierung’ der kieferorthopädischen Leistungspositionen vorschnell emotionalisiert. Niemand außerhalb des BMG weiß zur Zeit wie die definitve GOZ 2008 aussehen wird und vor allem wann Sie in Kraft treten wird. Der bisher vorliegende Referentenentwurf hat dabei zur Verunsicherung massiv beigetragen. Vorschnelle Fortbildungskurse, die den Inhalt des Referentenentwurfs zu Basis haben, werden nach dem definitiven GOZ – Erlass weitestgehend Makulatur sein. Das abwarten auf die definitve GOZ- Verordnung ist bei dem aktuellen Pegelstand der Angst zwar schwierig aber unvermeidlich. Bei allen Risiken durch die anstehende GOZ- Verordnung und das neue Versicherungsvertragsgesetz bin ich zuversichtlich, dass sich zukünftig erstattungsfähige Regelungen für eine angemessene Honorierung kieferorthopädischer Dienstleistung finden lassen.

Anmerkung

Weitere Informationen finden sie auf der Homepage www.kiss-orthodontics.de

 

 

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